Nadine Gordimer: Keine Zeit wie diese

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gord

Nadine Gordimer ist die Grand Old Lady der südafrikanischen Literatur, ausgezeichnet mit diversen Preisen, allen voran dem Literturnobelpreis des Jahres 1991. Ihr Thema ist ihre Heimat, Südafrika, das jahrzehntelang gespalten war, nicht geographisch, sondern politisch, kulturell und gesellschaftlich: die Rassentrennung, Apartheid, erklärte bis 1994 alle Menschen anderer Hautfarbe als weiß zu Bürgern niederer Ordnung mit stark eingeschränkten Rechten, oftmals der Willkür der Behörden ausgeliefert. Selbstverständlich waren auch Beziehungen zwischen den Rassen unerwünscht oder sogar wie Mischehen verboten..

Dieser Roman, darf man ihn als Vermächtnis, als Abrechnung bezeichnen? Er ist nicht wie andere Alterswerke geprägt durch Altersweisheit, durch ein Über-den-Dingen-Stehen, im Gegenteil, Zorn ist spürbar, Resignation vielleicht, in jedem Fall aber die Desillusionierung einer Frau, die ein Leben lang für ihre Überzeugung eingestanden ist und die jetzt, knapp 20 Jahre später, resümieren muss, daß die Realität anders ist…

Sie ist schwarz.
Er ist weiß.

Gordimers Roman setzt, obwohl er sich…

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S. 466-506 (Wortgalerie)

Lesego zeigt Steve ein Hüttenviertel und sie nehmen dort Albert mit, einen Flüchtling aus Simbabwe, der in den Hütten versteckt wurde, um ihn nun in Wethus Gartenhäuschen unterzubringen. Sie werden ihn jedoch bei den Delphinen Donnie und Brian unterbringen, wenn sie nach Australien fliegen.

Es gibt eine (von offenbar mehreren) Abschiedsparty bei Jake, die so verläuft wir die meisten Treffen der Genossen: Politische Diskussionen und fröhliches Beisammensein… und dann diese überraschende Aussage von Steve, mit der der Roman endet:

„Der Augenblick, der ein ganzes Leben hält.

– Ich gehe nicht. –“ (S. 506)

*466-506 (aus.gelesen)

Mitten in die Aufbruchsvorbereitungen, die die Reeds durch einen Besuch im Nationalpark unterbrechen, dringt das Grauen in die bunte Vorstadt ein: Wethu, die allein zu Hause geblieben ist, wird überfallen und zusammengeschlagen, das Haus ausgeraubt. Daraufhin zieht (i) Wethu aus dem ehemaligen Hühnerstall ins Haus der Reeds um udn (ii) Sindi will, daß sie mit nach Australien kommt.

Überhaupt ist Wethu ein „Problem“, da sie ja nach der Abfahrt der Reeds zurück muss in ihr Dorf. Auch Sindi entdeckt die kwaZulu in sich, vllt als unbewusste Reaktion auf die Angst vor dem neuen, aus der sie sich in ihrem Wurzeln verankern will.

Noch nimmt sich Gordimer dem Thema „Fremdenfeindlichkeit“ an und schickt Steve gleich in die tätige Hilfe: bei einem Besuch einer Flüchtlingssiedlung, zu dem er mit einem befreundeten Professor gefahren ist, treffen die beiden einen Simbabwianer, den Steve mit nach Hause nimmt, um ihm im freigewordenen Hühnerhaus eine Obdach zu geben. Der Kreis schließt sich….

Gordimer läßt ihren Roman mit einer Szene enden, in der Steve und Jabu im Kreise der Genossen sitzen („Herbst der Partys, im Sommer. Ein Ende.„) und die Umstände und Entwicklungen in ihrem Land wie in einem Kaleidoskop vor ihnen erscheinen. Es ist eine fulimanten Brandrede, die Jake da – alkoholunterstützt – von sich gibt, die vllt beeindruckendste Passage des gesamten Buches, eine Quintessenz des Scheiterns, der zerstörten Hoffnungen und der düsteren Aussichten…. Und – ähnlich überraschend wie die Entscheidung pro Auswanderung – animiert sie Steve, weckt seinen Kampfgeist („a luta continua“, endlich wieder Genosse?) – und Gordimer beendet den Roman mit seinem Ruf:

Ich gehe nicht

Habe fertig, Roman leer. Zum Abschluss gönnt die Autorin uns noch mal einen entlarvenden Blick auf Steve, der trotz aller Genossenromantik seine Frau (ist Jabu nun schwanger oder nicht, ein Punkt, den Gordimer nie wieder aufgenommen hat, oder habe ich das überlesen?) und Kampfgenossin wieder vor eine eigenmächtige Entscheidung stellt… Natürlich ist dieser Ausruf Steves, wenn es denn überhaupt eine belastbare Entscheidung ist, auch ein Zeichen für die innere Unsicherheit, die Angst vor dem Neuen, aufgestachelt und mitgerissen durch die Brandrede des Freundes…

Ein offenes Ende, offen, wie die Zukunft Südafrikas. Insofern symbolisch, wie vieles in diesem Roman…

*383-465

Nach der großen Wahlkampfschlacht kommt es nun endlich zur Wahl selbst. Steve und Jabu stellen sich mit ihren Entscheidungen gegen die Vorstadtfreunde. Steve geht gar nicht wählen und Jabu wählt die Abtrünnigen. Was bringt es, wenn auch in den anderen Parteien Korruption an der Tagesordnung ist?

Australien rückt immer näher und die letzten Vorbereitungen werden getroffen. Man überlegt, was wird mitgenommen, wie und an wen wird das Haus verkauft und man erinnert sich an den letztem Umzug – als es damals in die Vorstadt ging. Ein Ereignis überschattet die Vorkehrungen: Während einen Wochenendausfluges wird in ihr Haus eingebrochen und dabei auch Wethu verletzt. Der Schock sitzt tief. Langsam bekomme ich das Gefühl, dass es mit der Abreise nicht klappen wird. Nicht etwa weil einer der beiden nein sagt, sondern aufgrund einer dritten unbekannten Größe. Wir werden sehen.

Die Abschnitte lesen sich wieder besser und mein Interesse an Jabu und Seve wächst. Sie sind für mich plötzlich nahbarer geworden.

Ich bin ein wenig in Verzug, so dass sicher als Letzte meine Bilanz zu Gordimer ziehen werde. ABER: Immerhin bin ich auf der Zielgeraden. Hatte so manchen Tag an dem ich das Buch einfach nur wegstellen wollte.

 

Am Ende der Parabel

Die durch soziale Verelendung ausgelösten Probleme dringen in die Privatsphäre der Reeds ein, seien es der Raubüberfall auf Wethu in ihrem Haus oder die Beherbergung eines verfolgten Einwanderers aus Simbabwe. Steve und Jabu erkennen, auch die vermeintliche sichere Welt der Vorstadt bleibt nicht heil. Sie war schon immer lediglich ein Reservat der „Bourgeosie der Genossen“.

Die Autorin hat über 450 Seiten benötigt um diese Erkenntnis in Steve und Jabu reifen zu lassen. In ihrem Roman voller Klagen über die politischen und sozialen Mißstände des südafrikanischen Staates und in ihren Anklagen gegen dessen Regierung aber auch gegen die Bürger.

Meine Lesergeduld hat dieses politische Lehrstück oft strapaziert. Vieles wurde überdeutlich und redundant in das Geschehen eingebunden. Der eigenwilligen Stil Gordimers mit seinen frei assoziierten Satzteilen hat die Lesbarkeit nicht leicht gemacht. Gordimers Motiv liegt in der politischen Aussage. Doch ihre politische Botschaft bildet ein Skelett mit sehr wenig Erzählfleisch. Dass Gordimer dies durchaus hätte liefern können, zeigen einige wenige Szenen.

Vieles erkannten wir viel zu früh, unter anderem die Bourgeosie der Vorstadt, den umgepolte Delphin, den man als ein weiteres „Nichts ist wie es scheint“ noch hinnehmen könnte, oder den religiösen Konflikt zwischen Stiertöterritual und Christentum.

Der Mann aus Simbabwe in der klandestinen Gartenherberge ist das letzte Exempel um noch einmal das Thema Xenophobie = Armut durchzuspielen. Zugleich ist er ein Memento an die Anfangszeit von Steve und Jabu in Glengrove Place. Die beiden klandestinen Schicksale zu Beginn und zum Ende des Romans mag Gordimer als Klammer für ihre ausführlichen Darlegungen gedacht haben.

Das Buch endet in einer furiosen Rede des alkoholisiert enthemmten und empörten Jake, die alle Übel noch einmal klar benennt. Streiks, UN-Hilfstruppen, Minen, Korruption, Rüstungsindustrie. Jakes Anklage, fast eine Kampfansage, fasst Steve als Appell auf. Er, der weiße Südafrikaner, entscheidet sich zu bleiben.

Ich gehe nicht.

Die Hauptfrage der letzten Abschnitte ist sicher, wem der letzte Satz zuzuordnen ist: „Ich gehe nicht.“  Im ersten Moment denke ich ganz klar Steve, dafür würde auch einiges sprechen, wie etwa der Satz, der ihm vorangeht: „Der Augenblick, der ein ganzes Leben hält.“ Wenn also Steve jetzt diesen Satz ausspräche, wäre dies eine Entscheidung, der die Richtung seines ganzen kommenden Lebens bestimmen/verändern würde. Spräche er ihn nicht aus, wäre dieser Augenblick nichts besonderes. Für ein Bleiben sprechen aber auch die letzten, von allen Reeds hautnah miterlebten Ereignisse, die durch den ehemalige Hühnerstall eine subtile Verbindung erfahren. Zunächst der Überfall auf Wethu, auf den vor allem Sindi mit einer vehementen (und dem eigenen Kind nicht zugetrauten) Solidarität reagiert. Und vor allem die eindrücklich geschilderte Episode von der Rettung Alberts aus dem Slum:

Von Lesego wird Steve in einen Slum von Johannesburg gebracht, er sieht bedrückende Szenen der Armut. Schließlich werden sie in eine Baracke geführt, werden von einem Mann mit „Schwangerschaftsbauch“ begrüßt, dieser führt sie zu seiner Tochter, einer jungen Frau mit neugeborenem Kind, am Ende zu einer weiteren Person, die sich innerhalb der Baracke versteckt hat: Albert stammt aus Simbabwe und lebt seit drei Jahren im Slum. Er ist der Vater des Kindes, lange konnte er mit seiner kleinen Familie relativ unbehelligt in dem Slum leben. Doch nach fremdenfeindlichen Ausschreitungen ist sein Leben dort nicht mehr sicher. Lesego und Steve schmuggeln Albert aus dem Slum und weil sie nicht wissen, wo sie ihn verstecken könnten, bringen sie ihn in das Gartenhaus auf dem Reed‘schen Grundstück, das Wetho nach dem Überfall verlassen hat. Wieder könnte man sagen, das Andere betritt das Grundstück der Reeds, zuvor das Andere der Gewalt, vor der man sich trotz Wachen nicht schützen konnte, diesmal bestimmen die Reeds selbst, diesem Menschen Asyl zu gewähren.
Es scheint tatsächlich, als hätten diese Vorfälle bei Steve ein lange vermisstes Gefühl von Selbstbestimmung und Widerstand belebt. Die Probleme des Landes wurden jahrelang bis zum Überdruss besprochen, in der betont offenen Atmosphäre der Vorstadt konnte man seine Argumente und Meinungen zu den Katastrophen, die das Land heimsuchen, bedenkenlos vortragen, vor den Konsequenzen, den Katastrophen war man gefeit. Doch jetzt sind sie da, und Steve sieht, dass man im Einzelfall durchaus Hilfe leisten kann, die einen Unterschied ausmacht.

Dennoch könnte man den letzten Satz auch anders interpretieren.

Zwischen Jakes Bemerkung und dem „Ich gehe nicht“ steht ein Absatz, es ist also nicht gesagt, dass es sich um eine direkte Replik Steves auf Jakes Rede vom Glückspilz, der nun ja raus ist, handelt.

Beim Abschied in Jakes Haus wird wieder genauso palavert wie immer. Und ist es nicht gerade dieses Gerede ohne Konsequenzen, das Steve so satt hat? Könnte nicht sogar Jake seinen leisen Vorwurf („Glückspilz“) zu einer deutlichen Anklage steigern: Ich gebe nicht auf – ich gehe nicht?

*425-465 (aus.gelesen)

Jabu bearbeitet einen Fall von Vergewaltigung bei einem 15 jährigen Mädchen und muss dabei immer an Sindi denken, die ja in diesem Alter ist.

Im Land häufen sich immer mehr die sozial bedingten Unruhen, weil die Grundversorgung (Müllabfuhr, Wasser, Kanal etc pp) nicht gesichert ist.

Der Verkauf des Hauses in der Vorstadt, der fast perfekt schien, ist geplatzt. Die Reeds packen ihre Sachen, sortieren, wählen aus… das alte Leben wird abgewickelt……

Ich beschließe diesen Abschnitt mit dem Zitat von S.l 459, in dem eine Art Resumee und Rechtfertigung gegeben wird:

Die Täuschung, die Verstellung; damit kann man nicht leben. Wozu sind ein Assistenzprofessor und eine Anwältin gut, wenn Bildung die Summe der Schulen ist, die den Nachwuchs an Studenten produzieren, denen das für ihr Studium erforderliche Verständnisniveau fehlt, und wenn das Rechtswesen Korruptionsvorwürfen gegen schuldige Genossen in hohen Regierungsämtern weiträumig ausweicht. Die Kinder vorzuschieben, wenn Entscheidungen anstehen, ist beliebtes Pharisäertum. Aber Sindiswa und Gary Elias wachsen in alledem, zu alledem heran! Kinder, die vielleicht gar nicht gezeugt worden wären, hätten ihre Eltern nicht fest an eine Gegenwart geglaubt, die nicht eingetreten ist. Keine Spur von Gleichheit in der erkämpften Schwarz-Weiß-Verschmelzung im Land, dem ungleichsten der Welt.

*383-424 (aus.gelesen)

Mit der Bitte um Erklärung: „Sie ist nicht die bereitwillig vertrauensvolle, offene junge Frau, sein Mädchen bei der Entdeckung der Sexualität als eines natürlichen Bestandteils der politischen Entdeckung in Swasiland: Ihr wart nicht weiß und schwarz, als ihr das Gefängnis riskiert habt, mit Folter bedroht wurdet in eurer kurzlebigen Existenz, deren Zweck der Kampf war, um die existierenden Kategorien der Macht, der Gewohnheit, des Besitzens zu beenden und aus all den Trennungen der abscheulichen Vergangenheit die Voraussetzungen für ein humanes Dasein im eigenen Land zu schaffen….“ (S. 385)

„Brain drain“: die Intelligenz ist es, die mit dem Auswanderungsgedanken spielt, bzw. die die Möglichkeit hat, auszuwandern, weil sie zu Einzuwandern eingeladen wurde (ich kann auch schwurblig). Ist Zuma schuld, weil die Intelligenz ihn durchblickt, ihn und seine Machenschaften? Der Glauben, daß es besser wird, ist jedenfalls zerbrochen, obwohl der ANC bis zum jüngsten Tag an der Macht sein wird. Keine Zeit wie diese. Was noch? Auch die Konkurrenzparteien sind offensichtlich für Korruption anfällig… wundert´s wen?

Beispiele aus dem Bildungsbereich, in dem es an allen Stellen fehlt und hapert.

Australien: Steve hat Bilder vom neuen Haus dort…

Auffällig ist, daß Steve und Jabu eigentlich nie richtig über ihre Pläne diskutiert haben, Pläne, die vor allem Jabu Nachteile bringen, die in Südafrika eine bemerkenswerte Laufbahn eingeschlagen hat, die in Australien aber nicht ohne weiters etwas wert ist. Wie überzeugt sind die beiden von ihrem Vorhaben?

*346-382 (aus.gelesen)

Der Wahltermin ist fixiert: 22. April 2009. Zuma als Volkstribun, dem die Justiz nicht beikommt, kann viele seiner (schwarzen) Landsleute mitreißen. Andererseits spalten sich auch Gruppierungen ab und gründen neue Parteien. Man muss anerkennen, daß es Gordimer durch ihre weiterhin verschwurbelt-verquaste Sprache versteht, das alles sehr unklar rüberzubringen. Da hilft der Rückgriff auf Montaigne, der empfiehlt, einen Text, den man beim zweitem Mal nicht verstanden hat, zu übergehen…

Zuma steht immer offensichtlicher zwischen Jabu und ihrem Vater, für den er weiterhin der alte Kämpfer ohne Fehl und Tadel ist.

Steve und Jabu sind beunruhigt, weil auch an Garys Schule Mobbing-Fälle auftreten, in Anbetracht der Tatsache, daß es bald nach Down Under geht, nehmen sie ihn aber nicht von der Schule.

Auf der Straße, der schwarzen Bevölkerung, gärt es, kommt es immer häufiger zu Unruhen bzw. Streiks. Desillusionierung greift um sich und zu Gewalt.