Anmerkungen zum 3. Abschnitt

Für die historisch Interessierten möchte ich auf den kurzen Artikel von Katharina Fink über das 2001 in Johannesburg eröffnete Apartheid-Museum verweisen. Die Besucher erhalten dort einen „Pass“ entgegen ihrer Hautfarbe, „Nie-Blankes/Non Whites“ oder „Blankes/Whites“, und müssen durch jeweils separate Eingänge die Ausstellung betreten. Diese entlässt alle Besucher mit der Aufschrift „Walk away free“. Eine nähere Beschreibung gibt der Artikel. Darin wird zu Beginn auch auf Nadine Gordimer Bezug genommen. Sie hat sich in Le Monde diplomatique zum Neubau des Museums geäußert. Ihr könnt das Museum auch virtuell besuchen.

Zum Inhalt dieses Abschnitts stellt sich mir folgende Überlegung. Geht es Steve und Jabu darum ihr Leben sinnvoll zu gestalten, „Teilzeit-Wohltätigkeit reicht nicht“, oder um Statusgewinn und gesellschaftlichen Aufstieg, „stellvertretende Grundschullehrerin“ und „Professor“?

Der Ausdruck „erste Frau bei den Mönchen“ weckt bei mir die Lachlust.

Die stete Verwendung des Begriffs „Rasse“ verursacht mir Bauchschmerzen.

Gordimers Darstellung von schwulen Männern finde ich zunehmend seltsam.

Sehr gut gefallen haben mir folgende Formulierungen, die gängige Sichtweisen in Frage stellen, „die unterschiedlichen Stammesbräuche der christlichen Familie“ und „Sitten und Gebräuche von Schwarzen, Indern und jeder genetischen Mischung daraus“.

Zu den Satzgebilden will ich vorerst nichts mehr sagen. Abgehackt wirkende Gedanken, nicht immer eindeutig markierte Bezüge, usw., liegen nicht an der Übersetzung, das ist Gordimer-Stil. Dazu könnt ihr euch ja alle noch mal die Zitate im Beiheft ansehen. Nadine Gordimer hat sich nicht in ihre Sprache reinreden lassen, selbst ihr Ehemann sah vor der Veröffentlichung keine Zeile.

Zum Abschluss noch eine formale Frage an den Verlag. Warum ist auf S. 32 Veld nicht kursiv?

23 Gedanken zu „Anmerkungen zum 3. Abschnitt

  1. Danke für den Link zu diesem interessanten Artikel, da werde ich gleich mal reinschauen!

    Über das Wort Veld war ich auch gestolpert. Genauso wie über einige andere Worte die kursiv gesetzt waren und bei denen sich mir nicht immer die Bedeutung erschlossen hat und warum sie kursiv sind …

  2. Ich nochmal. Ich hoffe Bonaventure, der ja auch die englische Ausgabe vorliegen hat, kann noch einiges zur Sprache beitragen. Auch die Verwendung von bestimmen Wörtern ist mir in diesem Abschnitt besonders aufgefallen, bspw. klandestin. Da frage ich mich dann einfach, welcher Begriff im Original verwendet wird und warum sich die Übersetzung für so einen ungewöhnlichen Begriff entschieden hat …

  3. Im Original wird „clandestine“ stehen. Ich bin eher über die häufige Verwendung gestolpert. So wie Gordimer im letzten Abschnitt ein besonderes Faible für den „klerikalen Schwulenpool“ in all seinen Abwandlungen zeigte, wählt sie hier „klandestin“ zum bevorzugten Wort.

    • Natürlich steht, wie Du vermutest, clandestine im Original, was aber nach meinem Sprachgefühl im Englischen viel geläufiger ist als das veraltete klandestin im Deutschen. Ich kann mir nur vorstellen, dass die Übersetzerin, die Wiederholung des Wortes noch deutlicher machen wollte, indem sie dieses auffällige Wort statt des gewöhnlichen und völlig richtigen geheim einsetzt. Allerdings macht die Übersetzung überhaupt einen sehr flüchtigen Eindruck, als sei sie unter großem Zeitdruck entstanden. Ich denke da nur an den „gemeißelten“ Motorradsattel (S. 18), der im Original schlicht „sculptured“, also geformt ist.

  4. Ich bin darüber gestolpert, weil es ein so ungewöhnliches und sicherlich auch nicht unbedingt gebräuchliches Wort ist. Bereits im letzten Abschnitt. In diese Abschnitt wird es aber in der Tat extrem häufig erwähnt. Ich bin schon auf das Wort gespannt, das den nächsten Abschnitt prägen wird. 😉

  5. „Klandestin“ ist in historischen Zusammenhängen eine übliche Beschreibung für verborgene, auch konspirative Erscheinungen, z.B. Outlaws, illegale Migration etc..
    Alle, die eine UB in greifbarer Nähe haben und mehr zum Thema Apartheid und ihre Folgen lesen wollen, können ja mal in die Zeitschrift Periplus, Band 12 – Jugend und Befreiungsbewegungen im südlichen Afrika (2002) schauen.

  6. Danke für diese Empfehlung, wenn ich nächste Woche wieder an der Uni bin, werde ich mal schauen, ob ich die Zeitschrift bei uns in der UB finden kann.
    In historischen Zusammenhängen mag ‚klandestin‘ ein üblicher Begriff sein. Es ist mir – wie viele andere mir unbekannte Begriffe und Personen – nur ins Auge gesprungen und ich finde, dass Nadine Gordimer bei uns Lesern schon ein sehr breites Wissen südafrikanischer Geschichte voraussetzt.

    • Es ist ja sehr fraglich, ob NG überhaupt für „uns“ schreibt. Sie wird wohl in erster Linie für ein südafrikanisches Publikum schreiben, dem sowohl der historische als auch der politische Anteil des Textes deutlich näher ist als dem deutschen Leser.

      • nachdem ich den text im beiheft gelesen habe, frage ich mich, ob sie überhaupt für ein publikum schreibt.. ihr beschriebene arbeitsweise macht ja einen fast solipsistischen eindruck: kritiken sind ihr egal, gegenlesen läßt sie nicht.. selbst ihr mann hat erst das fertige buch vorgelegt bekommen….

      • das stimmt wohl. aber ich weiß ehrlich gesagt jetzt nicht, was du damit in diesem kontext bzgl ND aussagen willst.

  7. Andererseits lässt sich auch dieser Roman wie jeder Roman vollkommen ohne Hintergrundwissen lesen. Die wesentliche Aussagen erfährt man in der Lektüre, auch ohne sich der historischen Details bewusst zu sein oder gar zu werden. Vielleicht wird dadurch das Interesse erst angeregt.
    Sich herausgefordert zu fühlen, über die geschilderten Zustände informiert zu sein, um dann erst die Lektüre zu verstehen, kann ein Ansatz sein, oftmals ist es der intellektuelle Anspruch an sich selbst. Es ist jedoch keine zwangsläufige Vorraussetzung. Literatur sollte auch vollkommen vorraussetzungslos funktionieren.

    • > Literatur sollte auch vollkommen vorraussetzungslos funktionieren.

      Warum sollte sie? Jeder erzählende Text definiert schon durch seine Sprache und seine Erzählweise immer zugleich auch die Leser, mit denen er kommuniziert. Das lässt sich überhaupt nicht vermeiden. Es gibt wahrscheinlich überhaupt keine Möglichkeit, Texte zu produzieren, die voraussetzungslos funktionieren. Und literarische Texte machen immer sehr starke Voraussetzungen, von denen die meisten allerdings bei einem bedeutenden Teil der Leser unreflektiert bleiben. Aus dem Unterlaufen dieser unreflektiert bleibenden Voraussetzungen ergibt sich dann ein Teil der Schwierigkeiten vieler Leser mit sogenannter moderner Literatur. Anders gewendet: Weil viele moderne Texte sich weigern, die unbewussten Erwartungen der Leser zu erfüllen, werden sie als schwierig empfunden.

      • Wenn Du meinen letzten Satz so isoliert betrachtest, stimme ich Dir zu.

        Ich wollte darauf hinaus, daß kein Bildungswissen notwendig ist, um ein literarisches Werk zu lesen. Man sollte Leser sein, aber nicht unbedingt ein mit Kontextwissen ausgestatteter Leser.

      • Mir fällt kein Grund ein, warum Literatur sich an eine solche Regel halten müsste. Nicht alle Bücher sind für alle Leser geschrieben, und dies Verhältnis verändert sich auch noch mit der Zeit. Und natürlich muss man über eine gewaltige Menge von Kontextwissen, was immer das auch ist und wie es sich von anderem Wissen unterscheidet, verfügen, um den zweiten Teil von Goethes „Faust“ zu lesen. Und es ist deshalb kein schlechter Text oder gar keine Literatur.

  8. Aber man benötigt nicht zwangsläufig Wissen über Südafrika, um ein Buch von Nadine Gordimer zu lesen. Wie der jeweilige Leser mit dem Gelesenen umgeht, was und wie er es versteht, ist dann von seinen Vorraussetzungen, Erfahrungen und Wissen abhängig.

      • Da ich Leser kenne, die ohne Wissen über den historischen, politischen oder sonstigen Hintergrund eines Buches, dieses mit Interesse gelesen haben, würde ich sagen, aus Erfahrung.

  9. Pingback: S. 56 – 69 (Bibliophilins Notizen) | Gordimer Lesen

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